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Lernmittelausschuss revisited

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Eigentlich sollte jede Hamburger Schule einen Lernmittelausschuss haben. Einen was? Das werden jetzt viele Eltern fragen, die zum ersten Mal davon hören. Vielleicht ist es auch nicht mehr so wichtig? - hat doch die Hamburger Schulbehörde diesen Teil der Mitwirkungsmöglichkeiten gerade abgeschafft.

Im Newsletter der Schulbehörde vom 13. Mai konnte man nachlesen:

Schließlich erreichte das Thema sogar die Hamburgische Bürgerschaft: Im Rahmen einer Eingabe an den so genannten Eingabenausschuss wurde von Lehrkräften angeregt, die Ausschüsse einzustellen. Die Schulbehörde hat jetzt gehandelt und die Lernmittelausschüsse abgeschafft. Seitdem regt sich plötzlich energischer Widerstand. Der Vorwurf lautet, die Behörde würde Elternrechte beschneiden. Ein unberechtigter Vorwurf. Denn Eltern können ohnehin über die Elternvertretung in den Schulkonferenzen Einfluss auf die Beschaffung von Schulbüchern und Lernmaterial nehmen. Und die berechtigte Frage vieler Schulen lautet: Wenn das Gremium so überragend wichtig ist, wie es jetzt behauptet wird – warum macht dann seit Jahren kaum noch jemand mit? Quelle: Schulbehörde

 

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Schauen wir da doch einmal genauer hin! Welche Aufgaben hatte der Ausschuss?

Der Lernmittelausschuss entscheidet, welche Lernmittel für die verschiedenen Unterrichtsfächer anzuschaffen sind. Die Grundsätze für die Anschaffung (finanziell und inhaltlich) werden in der Schulkonferenz oder an beruflichen Schulen vom Schulvorstand beschlossen. Quelle: "Wir reden mit", Ausgabe 2019

Im Netz findet man einen "Leitfaden zur Umsetzung der Lernmittelverordnung", den die Schulbehörde 2006 herausgegeben hat. Damals mussten viele Schulbücher noch von den Erziehungsberechtigten bezahlt werden; der Lernmittelausschuss hatte - als eine wichtige Aufgabe - darauf zu achten, dass die Kosten für die Familien sozial verträglich blieben.

 

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Neben diesen formalen Fragen wies die Schulbehörde den Mitgliedern des Ausschusses weitere Aufgaben zu. Sie seien Ansprechpartner:innen für alle Mitglieder der Schulgemeinschaft im Hinblick auf Lernmittel. Bücher werden bestellt, aber nicht genutzt? Die Lehrerkonferenz möchte ein besonders teures Buch bestellen - lässt sich das begründen? Es gibt zu viele Kopien? Auch sollte der Ausschuss das Verfahren der Auswahl von Lernmitteln kritisch begleiten und konnte Vorschläge zur Verbesserung machen.

Als Elternvertreterin bringe ich Erfahrungen aus drei Bundesländern in diesem Ehrenamt mit - aus Schleswig-Holstein, aus NRW und aus Hamburg. In den beiden ersten Bundesländern war ich an verschiedenen Fachkonferenzen und damit auch an der Auswahl von Lernmitteln beteiligt. Wie so oft in schulischen Gremien steht und fällt diese Zusammenarbeit mit den Vorsitzenden. Sind sie offen für Fragen und Rückmeldungen von Schüler:innen und Eltern? Geht es nur um das Abhaken vorbereiteter Beschlüsse oder wird allen Mitgliedern das Einbringen von Vorschlägen und eine ernsthafte inhaltliche Diskussion zugestanden? 

 

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Natürlich liegt die Beurteilung der Unterrichtstauglichkeit hinsichtlich der jeweiligen Fachdidaktik bei den Lehrkräften. Doch wie wirken die Bücher? Laden sie ein, machen sie neugierig, erschließen sich ihre Inhalte leicht? Ermöglichen sie Differenzierung im Unterricht, bieten sie Aufgaben auf verschiedenem Niveau? Warum haben die Lehrkräfte sie vorgeschlagen? Wie wirken sie auf die Schüler:innen? Entlang solcher Fragen kann sich eine spannende Diskussion über das Lernen entwickeln. Schüler:innen und Eltern steuern Blickrichtungen bei, die eventuell sonst unbeachtet bleiben. Ein Mehrwert für die Schulgemeinschaft!

Aus solchen Gesprächen entsteht ein gutes gegenseitiges Verständnis; wichtige fachübergreifende Kompetenzen können von den beteiligten Schüler:innen handelnd erworben werden. Auf dem Papier lässt sich das nicht lernen, deswegen sind solche Möglichkeiten der Partizipation so wertvoll! 


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Woran liegt es dann, dass anscheinend in Hamburg kaum jemand daran Interesse hat? Gegenfrage: Wer kennt diese Mitwirkungsmöglichkeit und wer ist verantwortlich für deren Umsetzung? Laut § 32 Hamburgisches Schulgesetz ist es Aufgabe der Schule, Schüler:innen und Eltern zu Beginn eines jeden Schuljahres auf die Mitwirkungsrechte hinzuweisen. Hinsichtlich der Beschaffung von Lernmitteln liegt die Prozessverantwortung bei der Schulleitung, im Lernmittelausschuss hatte der oder die Schulleiter:in den Vorsitz - mithin eine doppelte Verantwortung. 

Meine Erfahrung als Elternvertreterin und Elternratsmitglied bzw. ~vorsitzende eines Hamburger Gymnasiums ist, dass die Schulleitung jahrelang auf viele der Mitwirkungsrechte nicht hinwies und diese daher auch nicht wahrgenommen wurden. Der Elternrat, in den ich nach meinem Umzug nach Hamburg gewählt wurde, war geprägt von Mitgliedern, die sich sehr wichtig fühlten, aber weder mit den restlichen Eltern kommunizierten - Einladungen und Protokolle der Sitzungen wurden nicht weiter gegeben, einen verlässlichen Verteiler für Elternvertreter:innen und Eltern gab es nicht - noch Interesse hatten, sich die weitere "Arbeit" in Ausschüssen und Fachkonferenzen "anzutun". 

 

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Dazu trägt das Hamburger Schulgesetz durch die Art und Weise, in der die Beteiligung von Eltern und Schüler:innen auf die wenigen Gremienmitglieder konzentriert ist, durchaus negativ bei. In Schleswig-Holstein und NRW kann sich in der Elternvollversammlung (wie die Hamburger es nennen, in NRW tagt die Schulpflegschaft), jede:r Erziehungsberechtigte für die Mitarbeit in Fachkonferenzen und Ausschüssen bewerben - dadurch werden die Aufgaben auf viele verteilt und bleiben in einem zeitlichen bzw. inhaltlichen Umfang, der von den ehrenamtlich Tätigen neben Berufstätigkeit und Familienleben machbar ist. Außerdem führt es dazu, dass sich Eltern mit Fachwissen und Interesse an inhaltlicher Beteiligung gezielt einbringen können.

Als ich in den Vorstand des Elternrates des Hamburger Gymnasiums gewählt wurde, habe ich im Hamburger Schulgesetz geblättert um herauszufinden, welche Beteiligungsmöglichkeiten es für Eltern und Schüler:innen gibt. Da gab es dann einiges vom Schulleiter einzufordern: das Weiterleiten der Protokolle der Gremien zur gegenseitigen Information fand eher selten statt und musste immer wieder aufs Neue von ihm eingefordert werden. Es wurden keine Vertreter:innen von Schüler:innen und Eltern für die Teilnahme an der Lehrerkonferenz gewählt. Begründung: "Ach, da wollen wir gerne unter uns sein!" Es hat mich deutlich mehr als ein halbes Jahr gekostet, bis er bereit war, diese Vorgabe des Schulgesetzes angemessen umzusetzen. 

Seit ich nicht mehr im Elternrat bin, fordere ich jedes einzelne Protokoll der Schulkonferenz unter Berufung auf das Hamburger Transparenzgesetz vom Schulleiter ein, da er sich weigert, diese in den Verteiler der Elternvertreter:innen zu geben und der Elternrat die Protokolle ebenfalls zurückhält. Letzterer war ein Jahr lang in der "Findungsphase" und verteilte weder Einladungen noch Protokolle; auch da musste ich den Weg über den Schulleiter nehmen, um an Informationen zu kommen. Leider gibt es keine gesetzlichen Grundlagen, um eine angemessene Umsetzung der jeweiligen Aufgaben einzufordern.

 

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Ist es ein Wunder, wenn - zumindestens an dieser Schule - die meisten Eltern und Schüler:innen sich nicht trauen, ihre Rechte einzufordern? Die Botschaft, wer erwünscht ist und wer nicht, ist doch recht deutlich! Den Mut, mit Zivilcourage für die eigenen Rechte einzutreten, bringen da nur wenige auf. Zu groß ist die Angst, das werde negativen Einfluss auf die Noten der eigenen Kinder haben. Als ehrenamtlich Engagierte macht mich das ehrlich gesagt ziemlich wütend. Statt meine Zeit sinnvoll zugunsten der Schulgemeinschaft einsetzen zu können, war ich gezwungen, Machtkämpfe mit einem augenscheinlich an echter Partizipation desinteressierten Schulleiter zu führen. 

Auch zum Lernmittelausschuss gibt es von diesem Gymnasium zu berichten. Im November 2015 teilte der damals noch stellvertretende Schulleiter dem Elternrat mit, es sei seit der Abschaffung der Lernmittelgebühren im Jahr 2010 an der Schule "gängige Praxis", dass die Schulleitung gemeinsam mit den Fachleitungen die Lernmittel auswähle. Dies "stehe zwar im Widerspruch zum Schulgesetz", habe sich aber "bewährt". Immerhin bot er dem damaligen Elternrat an, ab 2016 einen Lernmittelausschuss einzurichten. Dessen Mitglieder verzichteten dankend (auch gleich übergriffigerweise im Namen der vielen anderen Eltern, die sich hineinwählen lassen konnten) - und seitdem wurde darüber nie wieder gesprochen. Bis ich nachfragte. 

 

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Die Einrichtung des Lernmittelausschusses musste über eine Beschwerde bei der Schulaufsicht eingefordert werden. Der Beschluss über die Umsetzung, den der Schulleiter infolgedessen der Schulkonferenz vorlegte, sah die Rolle der Ausschussmitglieder lediglich im Abnicken der bisherigen "bewährten" Praxis. Es gab keine inhaltliche Gestaltung der Aufgaben, nur ein erkennbar widerwilliges Abhaken des Minimums. Eine Debatte über die Rolle, die der Ausschuss einnehmen könnte, wurde von ihm unterbunden.

Interessanterweise fand dies im November 2021 statt. Und nun gab es diese Eingabe an den Eingabenausschuss... Zufall? Ich glaube nicht. Leider ließ sich nicht herausfinden, von wem die Eingabe stammt - von dem Schulleiter, der sich so schwer mit den Rechten von Schüler:innen und Eltern tut? Der es am liebsten hat, wenn sie sich heraushalten oder brav so agieren, wie er es sich vorstellt?

Der Einfluss von Eltern in der Schulkonferenz ist entgegen der Aussagen der Schulbehörde sehr begrenzt. Laut Schulgesetz steht der Schulkonferenz das Recht zu, über die "Grundsätze der Beschaffung und Verwaltung von Lernmitteln" zu entscheiden, nicht im Detail über die konkreten Materialien. Der Elternrat müsste bereit sein, das Thema in die Schulkonferenz zu tragen, und der Schulleiter müsste es auf die Tagesordnung setzen. In der Schule, die ich vor Augen habe, ist beides sehr unwahrscheinlich - zumal die Schulkonferenz nur viermal im Jahr tagt. Auch hier: Minimum. Und deutlich weniger Rechte als im Lernmittelausschuss.


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Damit beantwortet sich die obige Frage der Schulbehörde aus dem Newsletter, warum den kaum noch jemand mitmache? Weil ein Schulleiter Rechte vorenthält, weil desinteressierte Eltern im Elternrat sich nicht informieren und zwar wichtig sein, aber nichts tun wollen. Weil die meisten Eltern nicht die Zeit haben, sich durch das Schulgesetz zu lesen und darauf vertrauen, dass an Schulen fair mit ihren Rechten umgegangen wird - und deshalb gar nicht auf die Idee kommen, dass da noch mehr sein könnte. Weil viele Lehrkräfte und Schulleitungen die Mitwirkung von Eltern und Schüler:innen noch immer als Eingriff in ihren Machtbereich sehen und beiden Gruppen die Kompetenz in solchen Fragen nur zu gerne absprechen. Oder ganz banal, weil Partizipation als unnötige zusätzliche Arbeitsbelastung angesehen wird.

Ich würde mir wünschen, dass es wirklich verlässliche Aussagen gäbe, wie es an den anderen Schulen gelaufen ist. Mit ähnlich schlechter Umsetzungsqualität wie in meinem Beispiel? Unwilligkeit oder Desinteresse einiger sagen wenig über den Sinn des Ausschusses aus, eher etwas über die fehlende Hinführung der Akteure an ihre Aufgaben. (Auch der Nachteilsausgleich wird kaum vernünftig umgesetzt - schaffen wir den deshalb auch ab?) Schade, dass der Schulsenator nur die Perspektive der Lehrkräfte vertritt, statt dafür Sorge zu tragen, dass sich mehr Schüler:innen und Eltern kompetent engagieren können.

Die Stellungnahme der Hamburger Elternkammer zur Änderung des Schulgesetzes geht in dieselbe Richtung - die Kammer ist enttäuscht und sieht Chancen vertan. Quelle: Elternkammer

Wie könnte so ein Ausschuss denn sinnvoll arbeiten? Was wären die lohnenswerten Ziele für eine Beibehaltung? Sobald von den Fachlehrer:innen eine Vorauswahl über die anzuschaffenden Bücher etc. getroffen wurde, könnten die Mitglieder des Ausschusses anhand von Kriterien eine erste Sichtung vornehmen. Die Kriterien sollten sich an den Leitperspektiven der allgemeinen Teile der Entwürfe der neuen Bildungspläne orientieren. Bildung für Nachhaltigkeit lässt sich mit der Arbeit des Ausschusses ebenso verbinden wie ein gemeinsames Nachdenken darüber, wie lebenslanges Lernen angeregt werden kann.


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Die Lernmittel könnten dann in der Schulbibliothek ausgelegt und an Elternabenden oder ähnlichem allen gemeinsam mit den Auswahlkriterien sowie einer Feedbackmöglichkeit zugänglich gemacht werden. Wie vorgesehen, sollten die Ausschussmitglieder direkt erreichbar sein und Rückmeldungen aufgreifen. Das Gespräch darüber, wie und womit man gut lernen kann und will, könnte in der Schulgemeinschaft entstehen oder verstärkt werden. Das hieße, der Erziehungspartnerschaft auf Augenhöhe und den Kinderrechten Raum geben - diese Aspekte wirklich zu leben.

Kinder und Jugendliche sehen ihre Schulen immer mehr als Orte der Prüfungen, nicht mehr als Orte des Lernens. Sollten wir nicht alles tun, damit sich das ändert? Die gemeinsame Auswahl von Lernmitteln ist einer der Bausteine dafür - diese Chance sollten wir nicht verschenken, so wie es der Schulsenator leider gerade tut!

Voraussetzung ist allerdings, aktiv auf potentielle Mitwirkende in der Schulgemeinschaft zuzugehen, die Aufgaben zu erklären und schmackhaft zu machen. Diese Aufgabe überfordert die Elternräte und Schüler:innenvertretungen, hier brauchen beide mehr Rückhalt der Schulbehörde. Wir brauchen Vorbilder, die zeigen, wie man sich mit Zivilcourage engagiert! Die die Spielregeln kennen und notfalls auch einen Schulleiter dazu bringen können, sich daran zu halten! Die bisherigen Wege, vorenthaltene Rechte an Hamburger Schulen einzufordern, sind intransparent, zeitaufwendig und mühsam - auch das ein Grund dafür, dass vieles nicht umgesetzt wird. Das Machtungleichgewicht kann sehr erdrückend sein.

 

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An dem Gymnasium mit der Abneigung gegenüber Beteiligung haben sich übrigens gerade Eltern beim Elternrat und der Schulleitung beschwert. Im Mathematikunterricht einer Klasse wurde zum Thema Stochastik eine Aufgabe mit dem Titel "Wie erkennt man, ob ein bekennender Muslim gefährlich ist?" gestellt. Wenn es einen Lernmittelausschuss geben würde, könnte sich der jetzt mit der Auswahl diskriminierungsfreier Lernmittel befassen - denn sowohl Schulleitung wie auch Elternrat wiegelten ab und ließen verärgerte Eltern zurück.


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