Geheimniskrämerei
Informationen händeringend gesucht!
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Stell dir vor, da ist eine Schulgemeinschaft. Lehrkräfte und Eltern sind Erziehungspartner. Man hat Interesse an einander, an den jeweiligen Ansichten, an der Entwicklung der Kinder und Jugendlichen. Im besten Falle sogar an deren Meinungen, Rückmeldungen und Träumen. Da informiert man sich doch gegenseitig über alle Belange des Schullebens, oder?
Die Vertretung der Eltern, der Elternrat, sollte Verteiler für die Klassenelternvertreter:innen aufbauen, diese wiederum einen Verteiler für ihre Klasse anlegen. Und dann reicht man wichtige Informationen im Schneeballsystem weiter: Einladungen und Protokolle der Gremiensitzungen, Informationen aus dem Kreiselternrat, Fortbildungen für Eltern am LI, Hinweise auf Schulaktivitäten, auf Ansprechpartner:innen, und... und... und...
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Zunächst einmal: warum macht das Sinn? Eltern, die gut informiert sind, fühlen sich sicherer. Sie wissen Bescheid, sie müssen nicht hinter allem hinterher rennen. Stattdessen geben diejenigen, die im Besitz der Informationen sind, diese verlässlich weiter, übernehmen die Verantwortung. Wenn dann auch noch ein freundlich-einladendes Anschreiben dabei ist, steigen die Chancen, dass sich Eltern willkommen und gesehen fühlen - Grundlage jeder gelingenden Elternbeteiligung.
"Die gemeinsame Erziehungsaufgabe von Elternhaus und Schule lässt sich nur in einem sinnvollen Zusammenwirken erfüllen. Die Eltern können ihr Erziehungsrecht nur wahrnehmen, wenn sie über die wichtigen Geschehnisse in der Schule informiert sind. Die Schule kann die Verantwortung der Eltern für den Gesamtplan der Erziehung nur achten, wenn sie diesen kennt." Elternrat des Gymnasiums Heidberg
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Hier formuliert ein Elternrat sehr schön den Sinn des Austausches von Informationen. Dieser ist nicht nur Selbstzweck, sondern ermöglicht Anteilnahme am schulischen Alltag, der für lange Jahre das Leben der Heranwachsenden (und ihrer Familien) prägen wird. Bescheid zu wissen, sich auszukennen, die Möglichkeiten der Beteiligung oder der Ansprache zu sehen, schafft Vertrautheit und damit auch Offenheit gegenüber der Schule, gegenüber dem Kollegium.
"Der Elternrat ist zusammen mit der Schulleitung gehalten dafür Sorge zu tragen, dass über die Klassenelternvertretungen alle Eltern über den Zeitpunkt und die Tagesordnung einer Schulkonferenz rechtzeitig informiert werden." Elternrat des Gymnasiums Heidberg
Das ist der erste Schritt: rechtzeitig mitteilen, wann man sich einbringen kann und worüber gesprochen werden wird. Doch mit welcher Haltung dies geschieht ist ebenso wichtig. Will man wirklich, dass sich die Menschen einbringen? Sie spüren, ob man es ernst mit ihnen meint. Ich weiß von einem Elternrat, über den es heißt: "Da ist immer so schlechte Stimmung, die beißen jeden weg, der ihnen nicht passt - da gehe ich doch nicht noch einmal hin." Da hat sich eine negative Kultur des In-Group-Out-Group-Denkens breitgemacht und es wird gar nicht so leicht sein, das zu ändern. So sollte es nicht sein.
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Der Umgang mit den Informationsrechten von Eltern und Schüler:innen, von denen es in Hamburg etliche gibt, steht und fällt oft mit den Menschen, die sich im Ehrenamt 'Elternrat' zusammen finden. Wollen sie einen Mehrwert für die Schulgemeinschaft schaffen? Haben sie ein offenes Ohr für Anliegen von Eltern, auch wenn es sie persönlich nicht betrifft? Oder sind sie nur Mitglied im Gremium, um für sich 'an der Quelle' zu sitzen und bestmöglich nur für das eigene Kind eintreten zu können? Handelt es sich um Menschen mit hoher sozialer Kompetenz oder um Wichtigtuer? Können sie die Vielfalt der Ansichten aushalten oder wollen sie in ihrer privaten Meinung bestätigt werden?
"Es ist wichtig, dass in der Elternarbeit Platz ist, die verschiedenen Vorstellungen zu diskutieren. Es ist Aufgabe der einzelnen Eltern, ihre Vorstellungen auszusprechen - mit dem Ziel, diese im Dialog mit den übrigen Eltern und Pädagogen zu entwickeln. Bei diesem Austausch der Vorstellungen sollen sich die einzelnen Eltern auch über den eigenen Standpunkt klarer werden und ob er sich mit dem vereinbaren lässt, was für die Schule (...) gilt. Es ist Aufgabe der Schule (...), ihre Werte so deutlich wie möglich für die Eltern zu formulieren. Gleichzeitig muss sie für Anpassungen und Änderungen, die sich aus dem Dialog mit der Elterngruppe ergeben, offen sein." Helle Jensen/Elsebeth Jensen - Schule braucht Beziehung
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Die Haltung der Schulleitung wirkt sich natürlich auch aus. Wie sehr spielen für sie Fragen des respektvollen Umgangs mit allen innerhalb der Schulgemeinschaft eine Rolle? Gelingt es ihnen, die Bedürfnisse/Ansprüche der verschiedenen Gruppen fair und transparent in einer ausgewogenen Balance zu halten? Sind Eltern gern gesehene Partner im Schulalltag oder werden sie als lästige Störenfriede angesehen, die sich doch bitte aus der Schule heraushalten sollen?
Manchmal versteckt sich diese zweite Haltung hinter höflicher Distanz - auf formaler Ebene wird das Minimum umgesetzt, doch zugleich gibt es zwingende Gründe, fast jede Nachfrage nach mehr Beteiligung abzuweisen. "Ach, das interessiert doch keinen." - "Wenn Sie einen Elternsprechtag wollen, dann muss leider dafür Unterricht ausfallen. Das läge dann in Ihrer Verantwortung, wenn die Schüler:innen Nachteile deswegen haben." - "An unserer Schule ist es Tradition, die Protokolle der Sitzungen den Vorsitzenden der Gremien zuzusenden, diese entscheiden dann, was sie weitergeben."
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Bei solchen Argumenten frage ich mich oft, warum die Möglichkeiten anderen Handelns nicht gesehen werden wollen. Wo bleibt der Mut, einmal das auszuprobieren, was an guten Schulen mit Erfolg umgesetzt und vorgelebt wird? Das ist dann der Moment, in dem man das Wissen um die eigenen Rechte parat haben muss. Kenne dein Schulgesetz, lautet die Devise! Schauen wir uns doch mal an, welche Informationsrechte es in Hamburg u.a. gibt.
§ 32 Hamburger Schulgesetz
Auskunfts- und Informationsrechte der Sorgeberechtigten und der Schülerinnen und Schüler, Informationspflichten
(1) Schülerinnen und Schüler und ihre Sorgeberechtigten sind in allen wichtigen Schulangelegenheiten zu informieren, unter anderem über
- Aufbau und Gliederung der Schule und der Bildungsgänge,
- die Stundentafel, den Bildungsplan und das schuleigene Curriculum und deren Ziele, Inhalte und Anforderungen,
- die Kriterien der Leistungsbeurteilung einschließlich der Versetzung und Kurseinstufung,
- die Übergänge zwischen den Bildungsgängen,
- die Abschlüsse und Berechtigungen einschließlich der Zugänge zu den Berufen,
- die Mitwirkungsmöglichkeiten von Schülerinnen und Schülern sowie deren Eltern,
- die Ziel- und Leistungsvereinbarung und deren festgestellten Grad der Zielerreichung,
- die Ergebnisse der Schulinspektion,
- die Veränderungen des Versuchsprogramms von an der Schule bestehenden Schulversuchen.
Die Information soll frühestmöglich und in angemessenem Umfang erfolgen. Die Sorgeberechtigten werden zu Beginn des Schuljahres, in der Regel im Rahmen eines Elternabends, über den Bildungsplan, die schuleigene Stundentafel und das schulische Curriculum sowie die Kriterien der Leistungsbeurteilung informiert.
In diesem Paragraphen sind viele wichtige Informationen direkt benannt und er bildet die Grundlage für ein Einfordern dieser Informationen, wenn sie nicht aktiv von der Schulleitung zur Verfügung gestellt werden. Eine Schulleitung, die die Informationen nur im Elternrat vorstellt, und diesem überlässt, was dieser weiter gibt, erfüllt ihre Informationspflicht allen Eltern gegenüber nicht. Vielmehr lässt sie zu, dass der Elternrat eine Entscheidung über die Informationsrechte der Eltern treffen darf - was diesem überhaupt nicht zusteht.
Auch die Haltung, Eltern sollten doch bitte nachfragen, wenn sie ihr Informationsrecht wahrnehmen wollen, steht eher für eine Politik der Nichtinformation, für Kommunikationsprobleme. Das Schulgesetz macht die Schulleitung verantwortlich für das 'Hintragen' der Informationen an die dafür Berechtigten.
Wenn Informationen nicht zur Verfügung gestellt werden, haben Eltern etliche Möglichkeiten, diese zu erbitten oder einzufordern. Scheitern freundliche Erinnerungen, kann es sinnvoll sein, eine der Hamburger Ombudsstellen anzusprechen (sehr engagiert und hilfreich!) bevor eine Beschwerde an die Schulaufsicht gerichtet wird.
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Spannenderweise kommt in Hamburg auch Unterstützung vom Datenschutz. Dieser ist für die Umsetzung des Hamburger Transparenzgesetzes zuständig. Darunter fällt das Recht zur Einsichtnahme in diverse schulische Unterlagen und Dokumente - unter anderem auch Protokolle der Gremiensitzungen. Sobald diese einer Behörde, zu der jede einzelne Schule gehört, vorliegen, kann Einblick verlangt werden.
Allerdings würde ich sagen, dass an Schulen, an denen dies notwendig wird, weil Protokolle als Geheimsachen für Eingeweihte behandelt werden, das Schulklima schief hängt. Geht man so miteinander um, wenn man die gemeinsame Erziehungspartnerschaft ernst nimmt und aus einem tieferen Verständnis heraus lebt?
Neben all den formalen Fragen geht es also im Kern um Beziehungsgestaltung. Wie möchte die Schulleitung die Beziehung zu den Eltern gestalten? Wie die Kontakte innerhalb der Schulgemeinschaft? Wie möchte man als Elternteil in Beziehung zu anderen Eltern treten? Wie zu den Lehrer:innen? Was für Wünsche haben diese an Begegnungen?
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Gibt es Räume für unbefangenes Kennenlernen von Groß und Klein? Unterstützt die Schulleitung vielfältige, bunt gemischte, offene Kontakte? Sind Respekt und Achtsamkeit in alle Richtungen vorhanden? Werden vor allem die Kinder und Jugendlichen als gleichwertige Partner:innen angesehen und ermutigt, für sich einzutreten?
Beziehungen sind etwas Lebendiges, sie können nicht formalisiert werden. Sie wachsen durch offene Gespräche, durch Eigenbeteiligung, durch Neugier auf die Ansichten der anderen, durch Neugier auf das, was gemeinsam möglich ist, auf das, was zwischen Menschen entstehen kann. Sie brauchen Räume, Orte, Plattformen, an denen man die anderen treffen kann - und sie brauchen Menschen, die ein Gespür dafür haben, wie man diese Begegnungsflächen gestaltet, so dass sich alle dort gerne begegnen.
Wenn ihr Lust habt, hört Helle Jensen zu, wie sie über diese Fragen nachdenkt:
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