Das lernende Dreieck

Welche Schüler:innen will die Schule?

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Ein Freund berichtete mir in den letzten Tagen von der Schule seiner Kinder. Der Schulleiter hatte von den Kindern, Jugendlichen und Eltern über Online-Formulare Feedback zur aktuellen Lernsituation erbeten. So weit, so gut. Ein wichtiger, sinnvoller Schritt, um ein Gespür für vorhandene Belastungen und mögliche Lösungen zu entwickeln. Kritik entzündete sich an der Frage, ob - wie geschehen - der Personalrat der Schule aus den Worten der Kinder und Eltern die Namen von Lehrer:innen streichen darf.

Mein Freund nannte es Zensur und war ziemlich entsetzt darüber, wie sich pädagogisches Handeln und interessengeleitete Personalvertretung vermischen. Der Schulleiter, mit dem es zum Austausch darüber kam, war hingegen überzeugt, dass das Vorgehen vertretbar sei; mehr noch, in seinen Augen trage es zur Bestärkung des Vertrauens zwischen ihm und dem Kollegium bei und sei geeignet, die Akzeptanz für die Annahme von Schüler:innenfeedback zu erhöhen. 

 

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Mein Freund und ich haben lange, lange diskutiert, es vermischen sich so viele unterschiedliche Aspekte in dieser Situation. Zum einen die Frage, ob ein Personalrat da nicht seine Grenzen überschreitet? Zum anderen der Umgang mit Feedback - wer darf es wie und vor allem wem geben? Wie damit umgehen, wenn Unliebsames benannt wird oder sich die Wut Einzelner in den Rückmeldungen Bahn bricht? Dann die Leitfragen zum Vertrauen (und Selbstvertrauen!) - stützt dieses Vorgehen den Erhalt bzw. Aufbau einer Vertrauenskultur, wie sie für eine gute Entwicklung der Kinder & Jugendlichen notwendige Voraussetzung ist? Und schließlich die meist ungeliebte Frage, wer an welcher Stelle Verantwortung übernehmen sollte.

"Die historisch hinreichend etablierte Definitionsmacht der Erwachsenen umfasst in ihrem Kern die Macht, zu definieren, ob ein Konflikt mit einem Kind wesentlich oder unwesentlich, ernst oder überflüssig, richtig oder falsch - für beide Seiten - ist. Die Definitionsmacht der Erwachsenen ist der Bestandteil der Erwachsenen-Kind-Beziehung, der am wirkungsvollsten verhindert, dass Kinder sich ernst genommen fühlen." Jesper Juul/Helle Jensen

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Im weiteren gemeinsamen Nachdenken mit verschiedenen Menschen innerhalb der Schullandschaft - darunter ein Lehrer, andere engagierte Eltern, ein ehemaliger Schulleiter und eine Beraterin für Schulangelegenheiten - entstand ein breiteres Bild der unterschiedlichen Erwartungen der Beteiligten. An welchen Stellen wurde 'dicht gemacht' und vor allem: warum? Im Warum, in der Suche nach den hinter dem Verhalten stehenden Bedürfnissen, lassen sich Ansätze für gemeinsame Weg erkennen. Dafür ist es wichtig, sich mit Empathie jenseits der Suche nach Sündenböcken - wie sie in der Diskussion um Schule ja leider verbreitet ist - auf alle Perspektiven einzulassen. Welche Ziele und Werte stimmen überein? Welche Bedenken, welche Ängste werden hinter Forderungen verborgen? Kann man anders damit umgehen und eine Balance zwischen den Bedürfnissen aller im 'lernenden Dreieck' herstellen?

Der Begriff 'das lernende Dreieck' wurde vom Erziehungsexperten Jesper Juul geprägt und die inneren Bilder, die er damit in mir wachruft, gefallen mir ausnehmend gut. Darin drückt sich die Verbundenheit, die durch den Rahmen Schule zwischen Lehrer:innen, Schüler:innen und Eltern entsteht, aus. Nicht immer einfach, da es sich um eine zufällige, vom Einzelnen kaum veränderbare Konstellation handelt. Das ist häufig anstrengend, doch die Konflikte, die zu dieser Verbundenheit gehören, kann man auch als für unsere Gesellschaft wichtige, förderliche Momente begreifen, in denen um die oben genannte Balance, um das Miteinander auf Augenhöhe (auch und gerade für die Kinder & Jugendlichen!) gerungen wird. Was kann jede:r Einzelne dabei nicht alles für seine/ihre Entwicklung an wertvollen Impulsen erhalten! Diese fortlaufende Resonanz, in der wir stehen, ist an sich schon ein uns alle ständig begleitender Feedbackprozess. 

 

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"Um Respekt zu bekommen, muss man respektieren. Denn den rollenbedingten Respekt gibt es nicht mehr. Niemand hat Respekt vor Lehrern, nur weil sie Lehrer sind, oder vor anderen Elternfiguren in unserer Gesellschaft. Man muss den Respekt verdienen - nicht, indem man nett zu den Kindern ist, sondern indem es in der Kommunikation mit den Kindern um relevante Fragen geht und man mit ihnen erwachsen umgeht. " Jesper Juul

Resonanz sowie die Art und Weise, in der Feedback erbeten oder gegeben wird, berühren uns alle so stark, weil wir uns darin in Gänze spiegeln. Da tauchen plötzlich verdrängte, unliebsame Eigenanteile auf. Die begleitenden Gefühle von Scham oder Kränkung sind unangenehm; damit gilt es, einen Umgang zu finden. Wer davor große Angst hat, der empfindet es natürlich als bedrohlich, wenn diese Seiten anderen gegenüber sichtbar werden. Aber hilft es wirklich, dann einfach zum Selbstschutz das Sichtbarwerden zu kontrollieren? Was, wenn der Selbstschutz von Lehrer:innen höher angesetzt wird als der Schutz der Schüler:innen vor verletzendem Lehrer:innenhandeln?

 

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Die Fähigkeit, als Mensch zu wachsen, nach und nach auch zunächst als zu hohe Hürde erlebte Situationen gelassen bewältigen zu können, setzt voraus, dass man die unangenehmen Gefühle an sich heranzulassen lernt und sich aktiv mit dem eigenen Verhalten auseinandersetzt. Erst im engen Kontakt damit lässt sich die nächste Entwicklungsaufgabe erkennen, die das Leben einem stellt. Um die Unsicherheit dabei aushalten zu können, braucht man Akzeptanz, das Gefühl nicht bewertend gesehen und ernst genommen zu werden und aufrichtige Ermutigung. Dies ist insbesondere für Kinder ein fast schon lebenswichtiger Rahmen; an Schulen kann und sollte dazu beigetragen werden, mit einer solchen Zuwendung das Fehlen entsprechender familiärer Ressourcen auszugleichen.

 

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Eine der noch offenen Fragen im Bildungssystem ist, wie viel Selbstwachstum von Lehrer:innen erwartet werden kann? Eigentlich liegt die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit in der Selbstbestimmung der Menschen. Für manche Berufe - eben auch für den Lehrberuf - gehören zur Gestaltung einer tragfähigen Beziehungsgrundlage und zur pädagogischen Professionalität auch gut ausgebildete Selbstkompetenzen hinzu, die eng mit der jeweiligen Persönlichkeit verbunden sind. Jesper Juul und die Psychologin Helle Jensen beschreiben das eindrücklich in 'Vom Gehorsam zur Verantwortung'. Sie treten dafür ein, eine übermäßige Regel-Orientierung durch mehr authentischen Kontakt zu ersetzen, um beiden - Kindern und Erwachsenen - zu ermöglichen, ihre Integrität zu bewahren. Im dänischen Schulsystem hat sich mittlerweile mit erkennbar positiver Wirkung durchgesetzt, (Unterrichts-)Störungen als Beziehungsproblematiken anzusehen und diese kontinuierlich und vorrangig aufzugreifen, im Wissen, dass freudiges Lernen in einem guten Schulklima besser gelingt.

 

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"Jedoch will ich betonen, dass Schulentwicklung an dem Punkt beginnt, an dem die Verantwortlichen Verantwortung für sich und die Qualität des Miteinanders übernehmen. Ich hoffe inständig, dass der Tag kommen wird, da Lehrer und Schulleiter sagen können: Es ist uns nicht gelungen, mit dem Schüler einen guten Kontakt aufzubauen. Wir müssen uns fragen, was die Krise des Schülers mit uns und unserem Einfluss zu tun haben könnte. Welche Botschaft verbirgt sich hinter dem Symptom?" Andreas Reinke, Vertrauensbildung: Wege aus der Schulangst

Resonanz und Feedback beeinflussen unsere Beziehungen und können gleichzeitig durch sie zu einer wertvollen Kraft im Miteinander werden. Wunderbar wäre es, wenn alle im normalen Alltag angemessen für sich eintreten und sich offene Fragen stets freundlich klären lassen. Ein Ideal, das viele anzieht. Wenn nur nicht der Streit über den 'richtigen' Weg da wäre... Feedback, das innerhalb gewählter Regeln und nur zu bestimmten Punkten erfragt wird, scheint durch die (berechtigte?) Erwartung (oder doch: Forderung?), jede:r möge sich an diese Regel halten, einen sicheren Rahmen zu bieten. Für alle? "Wir haben doch deutlich gemacht, dass keine Lehrernamen genannt werden sollen!" 

Mein Freund berichtete, der Schulleiter sei der Ansicht, es vermindere das Vertrauen der Lehrer:innen in ihn, wenn er zulasse, dass negative Aussagen über einzelne Lehrer:innen im Rahmen von Feedback an ihn gemacht werden, dafür gebe es andere Wege. Warum nicht dieser Weg? Macht auch er um unliebsame Gefühle bzw. als unangenehm empfundene, mögliche Auseinandersetzungen mit einzelnen Kolleg:innen einen Bogen? Weicht seiner Verantwortung aus? Das Feedback richtet sich nur an ihn, warum sollten die Lehrkräfte etwas befürchten, da er doch offensichtlich ihre diffizilen Fragen zum Feedbackprozess mit Empathie im Blick hat? Warum sollen die Schüler:innen die Verantwortung für die Gefühle der Lehrer:innen durch vorausschauend angepasstes Verhalten übernehmen? Will die Schule solche Schüler:innen?

 

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Meine Gedanken dazu: Jemandem vertrauen heißt, einen Vertrauensvorschuss zu geben und daran zu glauben, dass er/sie diesen nicht enttäuscht, auch wenn man sich dessen nie sicher sein kann. Da spielt das Selbstvertrauen hinein: traue ich mir zu, mit Enttäuschungen umgehen zu können? Wenn ich das nicht tue, beginne ich auf irgendeine Weise Kontrolle ausüben zu wollen, um vermeintlich 'sicher' zu sein. 

Vertrauen beruht auf Gegenseitigkeit, darauf, positive Erfahrungen der Verlässlichkeit und Zugewandtheit miteinander zu machen. Zu positiven Erfahrungen zählen für mich auch gemeinsam bewältigte Konflikte. Ich habe oft die Erfahrung gemacht, dass man zwischen 'Schönwetter-Vertrauen' und echtem Vertrauen in Krisenzeiten unterscheiden lernt. Wenn Vertrauen vorhanden ist, bedarf es keiner Kontrolle - ein Personalrat, der nicht an ihn gerichtetes Feedback sichtet und schwärzt, vertraut nicht; weder dem Schulleiter, noch den Eltern, noch den Schüler:innen. Das muss nicht am Schulleiter liegen, es sagt mehr über die Menschen im Personalrat aus und berührt Fragen des Selbstvertrauens oder des Machtstrebens. 

Die Kontrolle zuzulassen verstärkt das Vertrauen nicht, eher führt es - wie bei meinem Freund - bei Eltern zu einem Verlust von Vertrauen sowohl in den Schulleiter wie auch in die betreffenden Lehrer:innen. In der Folge wird man sich wohl eher höflich-distanziert begegnen statt sich voneinander in persönlich bedeutsamen Fragen berühren zu lassen. Macht das das Lösen von Konflikten leichter oder schwerer? Worauf wollen sich Eltern beim Schulleiter verlassen können? Ein ehemaliger Schulleiter in meinem Bekanntenkreis schrieb mir:

"Das ist aber genau die Aufgabe von Schulleitung, solche Informationen aufzunehmen und gemeinsam mit den „Betroffenen“ über Beratungen, Veränderungen, Verbesserungen wie kollegiale Unterrichtsbesuche, -Gespräche, Fortbildung, Supervision eine Gesamt-Verbesserung der inhaltlichen oder persönlichen Lehrerpersönlichkeit zu erreichen. Dazu gibt es genug Untersuchungen, wie Lehrerpersönlichkeit Auswirkungen auf den Lernprozess aber auch die soziale Persönlichkeitsentwicklung von Schüler:innen hat. Und, unter uns gesagt, viele Lehrer:innen scheuen davor zurück, sich einer intensiveren Kritik zu stellen; weil das auch viel mit Persönlichkeit zu tun hat, sich einer Bewertung/Benotung zu stellen, wie andere Menschen einen sehen. Das müssen die Schüler:innen und Eltern ja auch aushalten!"

 

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Es ist für Lehrer:innen, die durchaus ungerechtfertigte Angriffe erleben, belastend und herausfordernd, mit solchen Situationen umzugehen. Je gestresster sie selber sind und je ungünstiger ihre jeweiligen Muster in der Verarbeitung von Stress sind, desto schwerer fällt es ihnen. Sie brauchen den Rückhalt der Schulgemeinschaft zur Entlastung und die Unterstützung bei ihrer persönlichen Entwicklung durch die Schulleitung. Ebenso gehört ein Aufgreifen berechtigter Anliegen zu ungünstigem Lehrer:innenhandeln unbedingt in die Hände der Schulleitung und in einen geschützten Raum. (Wie auch die Begleitung von Schüler:innen mit sozial-emotionalen Schwierigkeiten, die leider noch oft vor den Augen aller stattfindet, jenseits der Schulöffentlichkeit stattfinden sollte.) 

Die Verantwortung der Schulleitung liegt darin, zu prüfen, welche Anliegen berechtigt sind, alle Beteiligten in die Bearbeitung einzubeziehen und Anliegen, die Mühe bereiten bzw. sich gegen Lehrkräfte richten, nicht einfach stillschweigend irgendwann verschwinden zu lassen. - Wie ist es nun bei wütenden, aggressiven Beschwerdeführer:innen, die sich deutlich im Ton vergreifen? 

 

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Mir wäre es lieb, dort zu trennen zwischen Ton und Inhalt. Auch hinter einer unangemessen vorgebrachten Anklage kann ein berechtigtes Anliegen stehen. Das Machtungleichgewicht zugunsten der Schule darf nicht eingesetzt werden, um Menschen wegen ihres Benehmens abzuweisen und ihnen nicht mehr zuzuhören. Der 'Machtvollere' ist in der höheren Verantwortung für die Qualität der Beziehung und sollte seinen Einfluss für die Gestaltung eines Rahmens einsetzen, in dem es normal ist, Beschwerden vorzubringen. Das könnte den Anteil destruktiven Verhaltens verringern. Es braucht außerdem Verständnis für die Rolle der Aggression als Wächter der Zugehörigkeit zur Gemeinschaft. Dazu ein Zitat aus Joachim Bauers Buch 'Schmerzgrenze', in dem diese Zusammenhänge sichtbar gemacht werden:

"Wenn Bindungen nicht ausreichend verfügbar oder bedroht sind, wenn wenig oder keine Anerkennung erlebt wird oder wenn soziale Ausgrenzung oder Demütigung erlebt werden, dann kommt die Schmerzgrenze ins Spiel. Als Folge kommt es zu einer Aktivierung der Angst-, Schmerz- und Aggressionssysteme. Da Bindungen für Kinder und Jugendliche lebenswichtig sind, stellt das Aggressionssystem ein Alarm- und Hilfssystem im Dienst der Sicherung oder Wiedererlangung von Bindungen dar." Joachim Bauer

 

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Dem Großteil der Erwachsenen gelingt es, dieser Wut konstruktiv Ausdruck zu verleihen; wer das noch nicht gelernt hat oder in einer Notlage ist, kann meist nur destruktiv auf sich aufmerksam machen. Die im vorangegangenen Post besprochene COPSY-Studie weist darauf hin, dass etwa 20% der Kinder & Jugendlichen nicht wissen, wie sie handeln können, dass ihnen der soziale Rückhalt fehlt, in dem sie einen konstruktiven Umgang mit ihrer Wut lernen können. Schieben wir sie deshalb beiseite oder bemühen wir uns, hinter die wütende Fassade zu schauen? Dass Aggressivität auftritt, ist nicht nur wahrscheinlich, sondern eher sicher, sie ist normaler Teil des Lebens. Lernen wir daher, damit konstruktiv umzugehen! 

Ein aktuelle Studie der Bertelsmann-Stiftung zeigt auf, dass sich über 80% der Kinder & Jugendlichen nicht trauen, ihre Lehrer:innen bei Problemen anzusprechen. Was kann man daraus für den Wunsch ableiten, mehr über ihr Befinden herauszufinden, da man darauf eingehen möchte? Was bedeutet das für Feedbackprozesse? Ein befreundeter Lehrer schrieb mir dazu:

"Wir brauchen in den Schulen dringend einen Fokuswechsel, weg von Leistung und Prüfung hin zu Mitgefühl und Beziehungskompetenz. Aber wie ein Kollege von mir immer sagt: Was willst du, wir leben nunmal im Kapitalismus... Also, wir müssen auf jeden Fall dranbleiben und die Konzepte in Schule bringen, die den Menschen wieder in den Mittelpunkt stellen. Wir arbeiten hier gegen ein Versagen der Schulpolitik über mehrere Jahrzehnte an..."

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Für Schulleitungen stellen sich Balance-Fragen: hier der Schutz des Kollegiums, dort die Rechte der Kinder & Jugendlichen, sich zu ihrer Situation frei zu Wort melden zu dürfen - auch in einem anonymen Feedback. Die Verantwortung eines Schulleiters liegt darin, transparent, fair und nachvollziehbar alle Anliegen auf Berechtigung zu prüfen und nach Wegen zu suchen, die für alle annehmbar sind. Auch unbequeme Lösungen sind zumutbar. 

Es heißt dabei, Lehrer:innen angemessen in die Verantwortung zu nehmen für möglicherweise ungünstiges eigenes Verhalten und für die Weiterentwicklung ihrer Professionalität, Eltern ebenso angemessen in die Verantwortung für unterstützende Erziehung ihrer Kinder und gutes Miteinander. Es heißt auch, sorgfältig zu prüfen, welche Verantwortung jedes Kind, jeder Jugendliche schon tragen kann, statt pauschal ein an Vorgaben angepasstes Verhalten zu erwarten. Und es heißt, darüber nachzudenken, ob es eventuell doch zum Lehrberuf gehört, erziehend den Kindern zur Seite zu stehen, deren Eltern dies nicht leisten können, auch wenn sie es wollten.

 

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Je länger ich darüber nachdenke, desto ungeeigneter erscheint mir das anonyme Feedback als alleinige Maßnahme. Ist das beziehungsförderlich? Kommt man so in einen gewinnbringenden gemeinsamen Blick auf die Situation? Lernen Kinder & Jugendliche, direkt und konstruktiv für sich einzutreten, wenn sie ein Formular ausfüllen und keine direkte Antwort erwarten können? Wie macht man ihnen Mut, häufiger einzufordern, anders wahrgenommen zu werden? Wie müssen Lehrer:innen reagieren, um diesen Mut zu bestärken? Lernen Lehrer:innen, Kritik auszuhalten und konstruktiv aufzugreifen, wenn sie festlegen dürfen, was sie an sich heranlassen wollen? Nicht wirklich, oder? Das alles lernt man nicht im Schutzraum, sondern nur gemeinsam mitten in der Situation. 

Die Ansätze schulischer Feedbackkultur enthalten viel Distanz, viel Kontrolle. Warum nicht mehr im Alltag miteinander reden? Gute Pädagog:innen tun das regelmäßig, sie tun es unter Pandemiebedingungen noch häufiger als sonst. Ihre Nachfragen bringen ihnen Wertschätzung der Schüler:innen ein; diese fühlen sich gesehen und gehört. Es kommt zum Dialog, in dem ein gemeinsames Verständnis gefunden werden kann, in dem Missverständnisse sofort sichtbar werden und aufgegriffen werden können. Ist das nicht auch Rückhalt für Lehrer:innen? Die Wirksamkeit ihres Handelns zu erleben und die positive Resonanz der Schüler:innen zu spüren?  

Ein anonymes Feedback liefert dies nicht; die Deutung liegt wieder allein in Händen der Definitionsmacht. Fehlinterpretationen können auch nicht im Besprechen der Ergebnisse in den schulischen Gremien erkannt werden, auch dort sitzen nur wenige, möglicherweise sogar solche ohne aufrichtiges Interesse an den Problemen anderer. Ziel sollte eine den Schulalltag begleitende vielfältige Diskussion auf ganz unterschiedlichen Ebenen sein, die die gewonnenen Erkenntnisse in partizipativen Prozessen aufgreift und so den Schüler:innen hilft, einen wirksamen Zusammenhang zwischen 'für sich eintreten' und 'ich kann meine Situation verändern' herzustellen.

 

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Ich würde mir von den Schulbehörden und Schulleitungen fest eingeplante Zeit für regelmäßige offene Gesprächsrunden an Schulen wünschen, mehr Bereitschaft zum direkten Austausch in bunt gemischten Gruppierungen auch und gerade über kritische Aspekte. Offene Räume der Begegnung für am Thema interessierte Menschen in der Schulgemeinschaft, in denen sich nicht Rollenträger:innen oder Maskenträger:innen begegnen, sondern diejenigen, die neugierig auf die anderen Perspektiven sind, und die den Mut haben, Veränderung auf den Weg zu bringen.  

Wir brauchen miteinander die Erfahrung, damit umgehen zu können. Die Ängstlichen - ob Kinder oder Erwachsene - brauchen sie vor allem! Von der Gemeinschaft in den Ängsten ernst genommen zu werden und zu erleben, dass es andere Wege gibt als Rückzug oder Abwehr, bringt sie wieder mehr zurück in das Gefühl der Sicherheit. Auch und gerade bei zunächst unvereinbar scheinenden Erwartungen. Lernen, dranzubleiben, wenn es hakt. Nicht abzutauchen oder nachzusetzen, sondern zu überlegen: wie kann ich mich verhalten, damit der andere sich wieder öffnet? Mir sein Vertrauen schenkt?

Die schulische Beraterin riet meinem Freund in einem Punkt übrigens zur Vorsicht: "Sie bewegen sich mit dem Ansprechen dieser Probleme in der Rolle des Hofnarren - Sie wissen doch, diese werden entweder gehört oder geköpft!" Liebe Schulleiter:innen, welche Stellung billigen Sie den mutigen Hofnarren innerhalb Ihrer Schulgemeinschaft zu...?

 

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